Chancen und Perspektiven für Kinder und Jugendliche mit seltenen Krebserkrankungen an der Universitätsmedizin Halle

Ganz besondere Mutmacher: Für jeden Piks, jeden Eingriff und viele weitere Behandlungsschritte erhalten krebskranke Kinder eine Mutperle. Im Laufe der Zeit entsteht so eine lange Perlenkette, die die ganz persönliche Krankengeschichte jedes Kindes erzählt. Foto: Universitätsmedizin Halle.

Halle. UMH. Sarkome sind seltene Krebserkrankungen, die aus Zellen des Muskel-, Binde- oder Fettgewebes sowie in Knochen und Knorpeln fast überall im Körper entstehen können. Bei Kindern und Jugendlichen ist etwa jede zehnte Krebserkrankung ein Sarkom, bei Erwachsenen jede hundertste. Bisher sind etwa 100 Unterformen bekannt, die sich in ihrem Auftreten, dem Verlauf und der Bösartigkeit unterscheiden. Damit ein Sarkom bestmöglich behandelt werden kann, braucht es eine sehr präzise Diagnostik. Spezielle Zentren wie das Sarkomzentrum und das Kinderonkologische Zentrum der Universitätsmedizin Halle sind erste Anlaufstellen für Betroffene in Sachsen-Anhalt, sobald der Verdacht auf ein Sarkom im Raum steht.

Prof. Dr. Simone Hettmer leitet das Kinderonkologische Zentrum der Universitätsmedizin Halle und forscht seit vielen Jahren zu Sarkomen. Im Rahmen des Sarcoma-Awareness-Monats Juli erläutert sie, wieso ein Bewusstsein für diese Form der Krebserkrankung so wichtig ist, wie eine Standard-Behandlung aussieht und wohin Betroffene und Angehörige sich wenden können.

Frau Prof. Hettmer, wieso ist es so wichtig, dass wir öffentlich über Sarkome sprechen und ein Bewusstsein für diese seltenen Erkrankungen schaffen?

Prof. Dr. Simone Hettmer: Je frühzeitiger die Erkrankung erkannt wird, desto gradliniger verläuft die Behandlung. Deshalb mein dringender Rat: Wer bei sich selbst oder einem Familienmitglied eine unklare Schwellung bemerkt, sollte diese unbedingt ärztlich abklären lassen. Im besten Fall steckt etwas ganz Harmloses dahinter. Doch sobald der Verdacht auf ein Sarkom im Raum steht, sollte man sich in jedem Fall an ein zertifiziertes Krebszentrum wenden.

Es kommt leider immer wieder vor, dass Patient:innen einen zunächst harmlos scheinenden Knubbel bei einem niedergelassenen Chirurgen einfach „wegschneiden“ lassen und sich hinterher herausstellt, dass es ein Sarkom war. Das ist nicht gut. Besser ist es, wenn der fragliche Befund systematisch aufgearbeitet wird und auf Grundlage des Biopsie-Ergebnisses der bestmögliche, auf die spezifische Diagnose zugeschnittene Behandlungsplan erstellt wird.

Wie läuft ein solches diagnostisches Verfahren ab?

In der Regel kommen Eltern mit ihren Kindern wegen einer Schwellung und/oder Schmerzen zu uns. Erst einmal findet eine gründliche klinische Untersuchung statt, an die sich eine oder mehrere bildgebende Untersuchungen anschließen. Im MRT ergibt sich dann oft schon ein klarer Verdacht in die eine oder andere Richtung. Zur Bestätigung und zur akkuraten Einordnung der Diagnose ist in der Regel eine Biopsie notwendig. Um ganz sicher zu sein, wird die Gewebediagnose in der Kinderonkologie immer von zwei unabhängigen Patholog:innen bestätigt. Daran schließt sich die Suche nach Metastasen an. Die Therapie wird schlussendlich in einer interdisziplinären Tumorkonferenz festgelegt. Bei Kindern hat sich bei vielen Sarkomen eine Kombination aus chirurgischer Therapie, systemischer Therapie – also der Gabe von Medikamenten – und Bestrahlung bewährt.

Wichtig ist: Sarkome sind komplexe, multidimensionale Erkrankungen und eine erfolgreiche Behandlung muss die verschiedenen Dimensionen berücksichtigen. An der Universitätsmedizin Halle profitieren wir in der Kinderonkologie dabei sehr von den vorzüglichen Arbeitsbeziehungen zum Sarkomzentrum und den anderen relevanten Fachabteilungen.

Als Direktorin der Universitätsklinik und Poliklinik für Pädiatrie I leiten Sie das Kinderonkologische Zentrum. Welche Erfahrungen machen Sie hier mit Sarkomen?

Wir haben jährlich vier bis sechs Kinder und Jugendliche mit Sarkomen in aktiver Therapie. Hinzu kommen weitere Patient:innen, die regelmäßig zu Verlaufskontrollen zu uns kommen, da man auch nach einer überstandenen Sarkomerkrankung lebenslang nachgesorgt werden muss. Die Behandlung dauert oft mehrere Monate und ist mit wiederholten Aufenthalten auf unserer Kinderkrebsstation verbunden. Und auch wenn die Heilungschancen mit durchschnittlich etwa 65 Prozent ordentlich sind: Die Kinder nehmen immer ein erhebliches Päckchen mit in ihr weiteres Leben. Bei einem Knochensarkom kann es später zum Beispiel Probleme beim Knochenwachstum geben.

Doch trotz der schweren Erfahrungen, die eine Krebserkrankung mit sich bringt: Kinder leben im Augenblick und können sich an guten Tagen ganz unmittelbar an den kleinen und großen Freuden des Alltags erfreuen. Das gibt dem Leben eine besondere Qualität und Intensität. Uns Erwachsenen fällt dies oft schwer; da können wir von Kindern viel lernen.

Wie kann die Behandlung von Sarkomen insbesondere bei Kindern noch verbessert werden?

Der Schlüssel zur verbesserten Behandlung von Kindern mit Sarkomen liegt in der Forschung, denn nur mit einer akkuraten Diagnose gibt es die optimale Therapie. In den letzten Jahren haben sich die verfügbaren Untersuchungsmethoden kontinuierlich verbessert. Unter anderem auch die bildgebenden Verfahren. So erheben wir aktuell in internationaler Zusammenarbeit Daten, um herauszufinden, ob sogenannte PET-CT-Untersuchungen bei Kindern mit Rhabdomyosarkomen ausreichen, um Knochenmark-Metastasen festzustellen. Bislang ist hierfür noch eine Knochenmarkpunktion vorgesehen. Sollte sich unsere Hypothese bestätigen, würde dies den Kindern immerhin diesen einen Eingriff ersparen.

Bei seltenen Erkrankungen – die Krebserkrankungen bei Kindern ja glücklicherweise sind – kann Forschung nur effektiv sein, wenn man zusammenarbeitet. Daher ist die Vernetzung mit Kolleg:innen essenziell – am Standort, in der Region, bundesweit und letztlich auch international. Nur so können wir unseren Patient:innen die bestmögliche Versorgung bieten.